Während in Leta Semadenis Romanen die Lyrikerin unverkennbar ist, kommen in den Gedichten Bilder der Romane zurück: ein Kind, das traumverloren mit einer Ziege spricht, der alte Mann mit den seidenen Füßen, der auf die Jagd ging, der Geruch einer roten Schote, der eine Zeitkapsel aufspringen lässt. Es sind Momentaufnahmen im Hier und Jetzt - ein Gedicht ist mit »Fotografia spontana« überschrieben - oder Streiflichter auf die Kindheit, auf die Bergwelt, wo Rabe, Wolf und Fuchs ein Geheimnis haben. Fast unbemerkt spannt sich der Bogen zu den großen Fragen, den archaischen Zweifeln und den Wundern der Natur, wobei eine Lust am Spiel mit der Illusion und der Sprache immer spürbar bleibt: Vertrautes wird auf den Kopf gestellt, neue Bilder entstehen. Auch eine Anleitung zum Lesen findet sich in dem zweisprachigen Band, der Leta Semadenis schönste Gedichte versammelt:
Leg / das Herz / in die Lücke / Spring ohne Netz / auf die nächste / Zeile
»Ein literarisches Wunder? Ja!«
Hansruedi Kugler / CH Media